weißes papier – recherche

hier berichtet konradin kunze von seiner recherchereise in den südsudan für das theaterstück "weißes papier" am theater bremen/moks

Tag: redaktion

spirit of journalism

atergarangbetritt man die aus einem einzigen raum bestehende redaktion des citizen am nachmittag, sieht man eine handvoll junger menschen konzentriert vor wenigen bildschirmen sitzen. um 17 uhr ist redaktionsschluss, die artikel der reporter werden von den redakteuren korrigiert und anschließend an den fürs layout zuständigen mitarbeiter weitergeleitet. auch die – meist älteren – herren, die regelmäßig meinungsartikel schreiben, kommen um diese zeit zum citizen, um ihre texte auf usb-sticks abzugeben. der layouter muss dann sehen, wie er die texte, die werbeanzeigen und offiziellen bekanntmachungen auf den 16 seiten der tageszeitung unterbringt. dabei kann es schon mal vorkommen, dass der letzte satz eines artikels fehlt, wie beim letzten meinungsartikel von atem yak atemdon’t mix! ermahnt die junge reporterin palma charles den layouter, der facebook-nachrichten liest, während er auf den redigierten artikel des nachrichtenredakteurs wartet, sonst machst du wieder fehler. gerade erst hat der citizen seinen verkaufspreis von zwei auf drei südsudanesische pfund erhöht, zum ärger einiger stammkunden und abonnenten. in der letzten ausgabe stand dann aber wieder der alte preis auf der titelseite. für das folgenschwere versehen muss der layouter nun drei tage auf sein gehalt verzichten. IMG_1211neu
die derzeit fünf reporter können weitgehend eigenständig entscheiden, über welches thema sie berichten. einteilungen in ressorts gibt es nicht. jeder berichtet über alles, von sport über verbrechen bis zu politik. fast alle journalisten des citizen sind in anderen ostafrikanischen ländern zur schule gegangen und haben dort studiert oder studieren noch. viele sind in flüchtlingslagern in kenia oder uganda aufgewachsen. manche sind dort geboren, so wie nyabol grace, die parallel zu ihrem jurastudium in kampala für die zeitung als freie mitarbeiterin schreibt. ihre familie versteht nicht, warum sie diesen job macht und wünscht sich, sie würde sich auf ihre karriere als rechtsanwältin konzentrieren. du hast nicht mal zeit, um bücher zu lesen. du verdienst kaum geld. du liegst uns auf der tasche, du verwirrst dich selbst, zählt die erst 19-jährige nyabol die einwände ihrer mutter auf. aber journalismus ist etwas, das ich wirklich liebe. außerdem bin ich jemand, der alles ausprobieren muss. und ich mache meine arbeit gut und es gefällt mir.
wen man beim citizen auch fragt, warum sie oder er hier arbeitet, man erhält eine nahezu identische antwort. es geht darum, das land nach vorne zu bringen, die gesellschaft zu informieren. ich habe beim citizen nicht wegen geld angefangen, sagt auch der 30-jährige ater garang ariath, der einzige unter den reportern, der noch aus dem gründungsteam dabei ist. wenn wir eine informierte gesellschaft haben wollen, dann müssen wir den leuten natürlich informationen geben, damit sie überhaupt entscheidungen treffen können. nyabol grace sieht es ähnlich: wir sind augen und ohren der menschen im südsudan. was wir hören, erzählen wir ihnen. was wir sehen, zeigen wir ihnen. du informierst die leute darüber, was deiner meinung nach falsch läuft, du informierst sie, was deiner meinung nach dem land helfen würde. gerade weil das land noch jung ist fühlen sie sich berufen, auf diese weise am staatsaufbau zu helfen. das schließt kritik an der regierung mit ein, wie ater garang betont: die leute haben hohe erwartungen an die regierung. wenn die regierung sich falsch verhält, warum sollten wir nicht sagen, dass sie sich falsch verhält? ich glaube an die presse als vierte säule des staats. also ist unsere rolle sicherzustellen, dass die regierung ihrem mandat entsprechend handelt.
IMG_1092das problem ist, dass viele in der regierung, besonders in den unübersichtlichen und kaum kontrollierten sicherheitsorganisationen die rolle der medien nicht akzeptieren. die regierung ist ignorant, beschreibt nyabol grace, nicht weil die politiker die rolle der medien nicht kennen. sie kennen sie genau. sie fürchten, wenn sie der presse freiheit geben, wird sie ihre regierung stürzen. auch viele einfache leute tun sich noch schwer mit den journalisten, erzählt sie: viele sind immer noch analphabeten, sie verstehen nicht, was journalismus bedeutet, was die rolle der medien ist. doch selbst wenn sie den citizen kennen, zögern sie häufig, informationen weiterzugeben, aus furcht vor konsequenzen. die tief verwurzelte angst vor der obrigkeit aus der zeit vor der unabhängigkeit steckt vielen noch in den knochen. und leider wurden viele mechanismen vom sudanesischen regime übernommen, von dem man sich doch endlich befreit hat. aber das alles darf einen journalisten nicht einschüchtern, glaubt nyabol grace: man muss weiter und weiter und weiter kämpfen, bis man bekommt, was man will. allerdings überlässt sie sehr heikle themen anderen in der zeitung, man weiß, wenn man die berührt, das ist dein ende. auch von den kriegen, die in manchen bundesstaaten immer noch toben, will sie lieber nicht berichten, gesteht sie: ich bin halt ein feigling. bis jetzt komme ich damit nicht klar. dann gehst du dahin und wirst einfach so umgebracht. aber ich will nicht sterben, jeder will leben. oder vielleicht hast du etwas getan, dass dich der geheimdienst ins gefängnis bringt. dann wirst du gefoltert und alle sind gegen dich, du wirst verfolgt, weil sie denken, du störst sie. das sind dinge, vor denen ich mich manchmal fürchte. aber ich liebe es journalistin zu sein, weil ich für die rechte der menschen kämpfen will. ater garang sieht das etwas anders: als journalist kannst du nicht vor problemen wegrennen. es gibt keinen journalisten im südsudan, der von sich behaupten kann, niemals von irgendwem bedroht worden zu sein. auch er selbst wurde schon festgenommen und musste stunden ohne erklärung auf der polizeiwache verbringen, nur weil er einen verkehrsunfall fotografiert hatte. obwohl sich viele kollegen nach dem immer noch unaufgeklärten mord am politischen kommentator isaiah abraham sorgen machten, gibt sich ater garang furchtlos: wenn ich vom geheimdienst oder der regierung umgebracht werde, weil ich sie kritisiere, dann werde ich selbst geschichte schreiben. man wird sich an mich erinnern, der und der journalist wurde dann und dann deshalb umgebracht.
IMG_1096auch der karikaturist des citizen, adija acuil adija, berichtet von einschüchterungen durch sicherheitskräfte. auf einer zeichnung hatte er die machtfülle eines politkers kritisiert, der nicht nur justizminister werden sollte, sondern seinen alten posten als rechtsberater des präsidenten behalten sollte. daraufhin gaben unbekannte adija acuil zu verstehen, dass sie seinen weg zur arbeit genau kennen. selbst chefredakteur nhial bol empfahl ihm, diesen politiker vorerst nicht weiter zu kritisieren, weil ich keine leibwächter habe, die mich beschützen könnten, sagt adija acuil, seither komme ich immer auf unterschiedlichen routen zur arbeit. der minister wurde aber schließlich vom parlament abgelehnt.
so überzeugt sie auch jetzt von ihrer aufgabe sein mögen, nicht für alle beim citizen war journalist der traumberuf. ich wollte eigentlich kein journalist werden, sagt einer, aber dann habe ich meine meinung geändert. als flüchtling im kongo und später in uganda habe sich seine familie immer vor dem radio versammelt, um auf BBC die neuesten nachrichten aus der umkämpften heimat zu hören. irgendwann habe er sich gefragt: warum hören wir nur von den internationalen medien über unser land? was ist mit unserer eigenen presse? gibt es niemanden unter unseren leuten, der über unser eigenes land berichtet? deshalb entschied er sich für ein journalistikstudium. IMG_1094
nyabol grace weiß noch nicht sicher, ob sie als journalistin weitermachen wird. da ist auf der einen seite das jurastudium, auf der anderen seite die musik und die schauspielerei. ruhm kann sie in all diesen bereichen erlangen, das ist ihr wichtig: wenn du berühmt bist, kannst du viele leute motivieren. ich möchte eine berühmte frau sein, zu der alle aufschauen. schon als schülerin saß sie begeistert vor dem fernseher und unterhielt sich mit dem moderator der nachrichten, auch wenn der ihr naturgemäß nicht antworten konnte. im internat in kampala, uganda, durfte sie als vertrauensschülerin in der umgebung recherchieren und in der schülerzeitung darüber berichten. das gab mir das vertrauen, dass ich auch mein land verändern kann, sagt sie, ich wollte so eine journalistin sein, die immer stark ist und für die rechte der leute kämpft, die sich dafür einsetzt, dass die dinge so laufen, wie sie laufen sollen. dafür nimmt sie auch in kauf, dass sie als freischaffende mitarbeiterin nur bei veröffentlichung bezahlt wird. zwischen zehn und dreißig südsudanesische pfund bekommt sie pro artikel. die an- und abreise mit dem matatu, dem kleinbus, kostet alleine zehn pfund und dauert zweieinhalb stunden. erscheint der citizen wegen schwierigkeiten mit der druckerpresse mal wieder nicht, zahlt sie drauf. trotzdem  geht sie jeden abend nach hause und überlegt, über welches thema sie morgen berichten wird: was ist die größte herausforderung für unser land? was sind die schwierigkeiten der leute? was sollte die regierung tun? weil wir nicht das interesse an unserem land verlieren dürfen. wenn wir alles einfach so lassen, ist das das ende.
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auch ater garang ariath hat sich schon früh in der rolle des journalisten geübt. er wuchs in northern bar el gazal auf, einem gebiet, das zur zeit des bürgerkriegs in der hand der befreiungsarmee SLPA war. als junge schloss er sich der armee an und besuchte eine provisorische grundschule unter bäumen, wie er es nennt. er war zu jung für den kampf mit der waffe, aber ein lehrer motivierte ein paar schüler, einen journalistenclub zu gründen: ich war ein ‚reporter‘. ich lief zur frontlinie und sammelte informationen über den kampf der spla, dann schrieb ich sie auf und gab sie den ’nachrichtensprechern‘. die saßen dann vor den leuten an einem tisch und präsentierten die neuigkeiten. die miliz ermöglichte ihm später, auf die weiterführende schule im flüchtlingslager kakuma zu gehen. sie organisierten den transport quer durchs land nach kenia. im flüchtlingslager gab es ein monatliches magazin, das kakuma news bulletin, für das er kleine berichte verfasste. sofort nachdem er 2009 in den südsudan zurückkehrte, bewarb er sich beim citizen. während die meisten der damaligen mitarbeiter inzwischen für die regierung, besser zahlende magazine oder internationale organisationen arbeiten, blieb er seiner zeitung aus überzeugung treu. für seine loyalität wurde er mit dem posten des senior reporter  belohnt. die meiste zeit berichtet er als korrespondent aus wau, der zweitgrößten stadt des südsudan, wo er in diesem jahr sein lehramtsstudium abschließt. CTV, der neue fernsehsender des citizen, reizt ihn nicht als arbeitsstätte. vielleicht auch wegen seines stotterns konzentriert er sich ganz aufs schreiben: schreiben ist eines der wichtigsten dinge. irgendwann werde ich viele bücher schreiben. mein erstes buch wird davon handeln, wie ich teil der medienwelt wurde, damit auch andere dazu motiviert werden. er glaubt an den citizen und dessen motto fighting corruption and dictatorship everday. an der weise, wie ater garang everyday betont, spürt man seine ausdauer. wenn man als journalist arbeiten will, sollte man nicht weggehen. man sollte bleiben, bis sich die lage der medien entwickelt hat. dann ist man einer der pioniere, ergänzt er lachend. wir haben für die unabhängigkeit gestimmt. es kann nicht die lösung sein, kritische journalisten umzubringen. die lösung ist, dass sich die regierung um die belange der leute kümmert. bis dahin wird er weiter schreiben.

der alte mann und die zeitung

viktorkeriwaniich habe keine schwierigkeiten, dem fahrer des boda-boda (motorradtaxi) mein ziel zu erklären: der citizen, die einzige tageszeitung des südsudan, ist allseits bekannt. im kleinen empfangshüttchen sitzen zwei junge männer und blicken auf einen fernseher, auf dem citizen television (CTV) läuft. im dezember letzten jahres hat nhial bol aken, chefredakteur des citizen, neben der zeitung auch den ersten privaten fernsehsender gestartet. druckerei, redaktionsräume und fernsehstudio befinden sich in einer handvoll kleiner gebäude auf einem sehr überschaubaren gelände.
ich werde durch einen raum mit ein paar tischen, stühlen und computern geführt – die redaktion. am ende befindet sich eine tür zu einer seperaten kammer: zwei sofas, ein kleiner schreibtisch, dahinter papierstapel und ein freundlicher, älterer herr, der ganz hinter dem bildschirm seines computers verschwindet. victor keri wani ist stellvertretender chefredakteur des citizen und wichtigster partner von nhial bol. seit dem start von CTV ist er de facto hauptverantwortlicher für die zeitung. anfang des jahres hatte dieses büro noch ein strohdach, sagt er lächelnd. jetzt schützt ein wellblech das herz der südsudanesischen presse vor dem wasser, das in der regenzeit die straßen jubas in schlammbäche verwandelt. victor keri wani ist der älteste und erfahrenste unter den mitarbeitern des citizen. er leitet die redaktionssitzungen, verteilt die aufgaben, redigiert die artikel, schreibt täglich den leitartikel. eigentlich müssten diese aufgaben auf mehrere schultern verteilt werden, aber der citizen ist personell unterbesetzt. ausgebildete journalisten sind rar im südsudan, also ist man beim citizen dazu übergegangen, die redakteure selbst fortzubilden. die talentierten werden aber schnell abgeworben, z.b. von firmen oder internationalen organisationen, die bessere gehälter anbieten können.
citizen paperszum citizen kam victor keri wani auf einladung nhial bols vor dem referendum 2011, als der südsudan mit überwältigender mehrheit für die unabhängigkeit vom norden stimmte. die beiden kennen sich aus khartoum, wo sie gemeinsam für den khartoum monitor arbeiteten, bis die zeitung von den dortigen sicherheitsbehörden geschlossen wurde. nhial bol ist ein sehr hart arbeitender mann, er widmet all seine kraft und zeit der arbeit für den citizen, sagt keri wani. er selbst kann auf eine langes journalistenleben zurückblicken. schon als kind entschied er sich für diesen beruf, als sich 1958 ein britischer reporter auf einem motorrad in sein dorf verirrte und vor dem haus der zweitfrau seines vaters halt machte, um einen bericht über die töpferarbeiten zu schreiben. damals erzählte ich allen: ich werde ein journalist wie er und vielleicht werde ich auch so ein motorrad haben und mit einer großen kamera herumfahren, erinnert sich keri wani. als schüler beobachtete er später, wie sich in seinem flüchtlingsheim alle um ein radio drängten, um die neueste musik und nachrichten zu hören. er hatte das gefühl, dass etwas fehlt. also begann er, teils fiktive geschichten aufzuschreiben und an die wände zu heften. die leute blieben vor seiner wandzeitung stehen, um sie bis zum ende zu lesen. da wurde ihm klar, dass er mit dem schreiben weitermachen sollte: wären die geschichten uninteressant gewesen, wären die leute einfach weitergegangen. aber das war nicht der fall.
IMG_1076journalisten, die bei ausübung ihres berufs sterben, bewundert er. einmal war er selbst kurz davor. damals war er direktor von radio juba. die angestellten streikten, und obwohl er nicht am streik teilnahm, wurde er verhaftet und in eine zelle gebracht. aber sie ließen die zellentür offen, erzählt er. ein wärter flüsterte mir zu, geh nicht pinkeln! also wiederholte ich in meinem kopf immer wieder: geh nicht pinkeln, geh nicht pinkeln. vor der zelle wartete ein mann mit einem gewehr. mehrfach forderte er keri wani auf, pinkeln zu gehen. ich sagte ihm, ich muss nicht pinkeln. ich wusste, dass etwas faul ist. erst am abend verschwand der bewaffnete. später erfuhr er, dass es ein angehöriger des geheimdienstes war, der ihn beim gang auf die toilette von hinten erschossen hätte. eine kugel im rücken galt als beweis, dass es sich um einen fluchtversuch handelte.
auf den jetzigen geheimdienst angesprochen, der mehrfach gegen den citizen und nhial bol vorgingen, spricht victor keri wani von missverständnissen. einige hätten keine ahnung von der rolle der medien. er will die situation aber nicht mit der im alten sudan vergleichen. so lange ich hier an diesem schreibtisch sitze, ist noch keiner gekommen, um mir zu sagen, was ich schreiben soll, so keri wani, um dann einzuschränken, vielleicht auch wegen meines alters. lange will er allerdings nicht mehr weitermachen, er ermutigt die jüngeren mitarbeiter, verantwortung zu übernehmen. doch sollte nhial bol eines tages aufgeben, wie er nach einer erneuten konfrontation mit den sicherheitsorganen kürzlich androhte, würde der citizen aufhören zu existieren, da ist sich keri wani sicher. er blickt dennoch hoffnungvoll in die zunkunft: in zehn jahren wird der citizen ein großes medienunternehmen sein, mit mehreren radiosendern neben dem ferhnsehkanal und buchpublikationen und vielem mehr… aber dann werde ich nicht mehr dabei sein, sagt er und verschwindet wieder hinter seinem computer.